Bürgerversammlung am 27. August 2025: warum leere Gemeindekassen systemisch bedingt sind
Endlich wieder lud die Gemeinde Lautertal zu einer Bürgerversammlung ein, mit drei interessanten Vorträgen. Zu Beginn referierte Prof. Dr. Thomas Döring von der TU Darmstadt über die dramatische Lage der Kommunalfinanzen und deren Entwicklung. Dieser Vortrag war sehr aufschlußreich, Sie können ihn hier auf der Seite der Gemeinde Lautertal nachlesen: https://www.lautertal.de/pdf/buergerversammlung/doering-krise-der-kommunalfinanzen-lautertal.pdf?cid=bde oder doering-krise-der-kommunalfinanzen-lautertal_PPP herunterladen
Einen allgemeinen Artikel zum Thema hat Prof. Dr. Döring zusammen mit Matthias Wohltmann hier veröffentlicht: https://www.lautertal.de/pdf/buergerversammlung/massive-krise-der-kommunalfinanzen.pdf?cid=bdi. Es sind acht Seiten, die sich lohnen zu lesen, bevor man sich über Investitionsstaus aller Art aufregt. massive-krise-der-kommunalfinanzen herunterladen (Anm. d. Red.: für den Fall daß der erste Link zur Internetseite der Gemeinde Lautertal später nicht mehr funktioniert, wird als zweites das heruntergeladene Dokument verlinkt).
Der Vortrag erklärt, warum die Städte und Gemeinden inzwischen einen Schuldenberg von fast 25 Milliarden Euro angehäuft haben. Doch leider hat keine dieser Städte und Gemeinden goldene Wasserhähne, die wenigsten haben noch ein Schwimmbad, das sie schließen könnten um zu sparen (O-Ton Ex-Bürgermeister Kaltwasser irgendwann um das Jahr 2000). Die immense Belastung - bei vergleichsweise bescheidenen Einnahmequellen (es gibt nur diese drei: Gewerbesteuer, Einkommenssteuer, Grundsteuer - keine davon verspricht höhere Einnahmen) - rührt von extremen Zuwächsen auf der Ausgabenseite, auf die die Kommunen keinerlei Einfluß haben. Prof. Dr. Döring rechnet sogar mit einem Ansteigen dieser Schulden auf 36,1 Milliarden Euro im Jahr 2028.
Apropos Investitionsstau: seien es marode Dorfgemeinschaftshäuser, zu kleine Feuerwehrgerätehäuser, veraltetes Wassernetz - oder Autobahnbrücken - der kommunale Investitionsrückstand liegt bei 186 Milliarden Euro, der Bedarf bei 225 Milliarden. Mit "Sondervermögen" ist da wenig auszurichten.
Döring führt als Beispiel an: Bund und Länder verordnen per Gesetz, daß die Kommunen eine Ganztagsbetreuung an Grundschulen anbieten müssen, kümmern sich aber nicht um die Kosten.
Die Finanzentwicklung der Kommunen erfordert eine strukturelle Reform sowohl auf der Ausgaben- als auch auf der Einnahmenseite. So könnte z.B. bei der Einkommenssteuer ein Hebesatz ähnlich der Grundsteuer dazu beitragen, daß Bürgerinnen und Bürger sichtbar erkennen, wo ihre kommunalen Vorteile liegen. Die Sozialhaushalte sollten auf die Länder verschoben werden. Insgesamt befürwortet Prof. Dr. Döring das Prinzip der Veranlassungskonnexität anstelle der Ausführungskonnexität. Das heißt "wer bestellt, bezahlt" anstelle von "ich bestimme, du bezahlst". Eine Strukturreform solle auch zukünftig entstehende Bedarfe einbeziehen, und bei Fördermitteln solle der Eigenanteil wegfallen ("Noch eine Förderung, und wir sind pleite"), außerdem solle auch die Zweckbindung entfallen. So könne Förderung direkt und entbürokratisiert zum Nutzen aller eingesetzt werden.
Bürgermeister Heun (Lautertal): über die Gestaltungsmöglichkeiten der Mandatsträger
Der zweite Vortrag der Bürgerversammlung am 27. August 2025 war schlicht und einfach mit "Mitteilungen des Gemeindevorstandes" übertitelt - was offenbar wenige Bürgerinnen und Bürger so stark interessierte, daß sie zur Versammlung kamen. Dahinter verbarg sich ein engagierter Vortrag von Bürgermeister Andreas Heun zur Finanz- und Haushaltslage der Gemeinde, in dem er auch nicht mit Kritik sparte. Er legte Zahlen vor zur Aufteilung der Erträge (über die Hälfte aus den obengenannten Steuerarten) und zu den Aufwendungen (40% aus gesetzlichen Umlageverpflichtungen) sowie die Entwicklung über die Jahre 2013 bis 2025. Alle Folien seines Vortrages finden Sie hier:
https://www.lautertal.de/pdf/buergerversammlung/gemeinde-lautertal-praesentation-buergerversammlung-27.08.2025.pdf?cid=bdg oder gemeinde-lautertal-praesentation-buergerversammlung-27 herunterladen
Bereits 2015 wiesen die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus Hessen werbeträchtig auf ihre systembedingt ständig leeren Kassen hin. Der Durchblick berichtete darüber: Das letzte Hemd - Durchblickheft August 2015. Modautals Bürgermeister Jörg Lautenschläger steuerte 2015 das allerletzte Hemd bei, denn das letzte Hemd hatte er schon 2010 vor den Landtag geworfen...
Dabei konnten die Gemeindefinanzen bis Ende 2023 konsolidiert werden: Lautertals Pro-Kopf-Verschuldung lag bei 3553 Euro - im Vergleich dazu hessenweit 5789 Euro. Im Vergleich zu anderen Gemeinden des Kreises Bergstraße liegt der Hebesatz für die Grundsteuer B mit 650% noch unter dem von Lindenfels, Neckarsteinach, Lampertheim oder Lorsch.
Er legte auch dar, daß der Bürgermeister lediglich ausführendes Organ von Beschlüssen der Gemeindevertretung sei. Nicht immer entsprechen die Beschlüsse der Mandatsträger seiner persönlichen Überzeugung ("Brauchen wir eine neue Friedhofshalle für einen Friedhof, auf dem pro Jahr drei Beerdigungen stattfinden?")
Doch auch die Mandatsträger haben nur bei einem Drittel aller Posten im Haushalt überhaupt eine eigene Entscheidungsmöglichkeit. Neben den 40% an gesetzlichen Verpflichtungen gibt es zu Personalaufwendungen und anderen Fixkosten nur wenig bis gar keine Möglichkeiten, wo eine Gemeinde überhaupt etwas einsparen könnte.
Über weitere aktuelle Themen wie Kindertagesstätten-Neubau, Lautertalhalle und öffentlichen Raum informierte Heun im Anschluß.
Der letzte Vortrag des Abends kam von Martin Schaarschmidt, Geschäftsführer des Landschaftspflegeverbandes Kreis Bergstraße. Über diese segensreiche Organisation lesen Sie bitte hier nach: Landschaftspflegeverband Kreis Bergstraße: Aktuelles
sowie zum Inhalt des Vortrages hier: Vortrag: Vielfalt in der Kulturlandschaft gemeinsam umsetzen - Landschaftspflegeverband
Zur Info: die Arbeit der Landschaftspflegeverbände
(Text: Stefanie Seitz) Landschaftspflegeverbände: Unterstützer, Berater, Netzwerker und Vermittler von Wissen
Ohne die ehrenamtlichen Helfer würde auch im Naturschutz vieles nicht funktionieren. Sie verrichten ihre Arbeit unbezahlt, mit viel Herzblut und investieren ihre Freizeit. Landwirtschaftliche Betriebe setzen auf ihren Höfen oder Feldern größere und kleinere Maßnahmen für die Natur um. Sie bringen Nisthilfen an, säen Blühflächen aus oder betreiben ökologischen Anbau. In Kommunen werden zahlreiche Entscheidungen für die Gestaltung der Städte und Gemeinden getroffen, auch im Hinblick auf Natur und Umwelt.
Die Idee hinter den Landschaftspflegeverbänden ist es, diese drei Gruppen zusammenzubringen, um gemeinsam naturschutzfachliche Planungen und Maßnahmen zum Erhalt der Landschaft, der Biodiversität und der Artenvielfalt umzusetzen. Das Ziel besteht darin, ein flächendeckendes Netz natürlicher und naturnaher Lebensräume zu schaffen und die Kulturlandschaft zu erhalten oder wiederherzustellen. Die Landschaftspflegeverbände arbeiten kreisbezogen: Die Verbände im Kreis Bergstraße und im Odenwaldkreis wurden 2022 gegründet. Ihre Vorstände sind drittelparitätisch mit Vertretern aus Politik, Landwirtschaft und Naturschutz besetzt. Alle Beteiligten arbeiten gleichberechtigt und freiwillig zusammen, die Verbände haben keine behördlichen Befugnisse. Dadurch ist die Umsetzung von Projekten oft einfacher, denn Entscheidungen werden gemeinsam und ohne Druck getroffen. Die Verbände lassen Arbeiten vorzugsweise von lokalen Bewirtschaftern durchführen. So bieten sie diesen ein Zusatzeinkommen. Zudem vermitteln sie zwischen den unterschiedlichen Partnern und unterstützen bei Fördermöglichkeiten. Bei Interesse an der Verbandsarbeit oder geplanten Maßnahmen können sich Kommunen, Vereine, landwirtschaftliche Vertreter oder Privatpersonen an die zuständigen Landschaftspflegeverbände wenden.
www.landschaftspflegeverband-bergstrasse.de
www.lpv-odenwaldkreis.de
Marieta Hiller, August 2025